Von Amira Moussi

Die Rolle der kumulativen Schuldübernahme bei Verbindlichkeiten

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Amira Moussi ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Recht und Politikwissenschaft in Tunis und Mitglied der zivilrechtlichen Forschungsstelle für Streitbeilegung un Vollstreckung der Universität el-Manar in Tunis.

 Einleitung

Die Schuldübernahme ist ein traditionelles Rechtsgeschäft im Schuldrecht, das seine Wurzeln im römischen Recht hat, in dem es hauptsächlich zur gleichzeitigen Erfüllung mehrerer Verbindlichkeiten angewendet wurde.

Die Schuldübernahme beinhaltete damals keine vollständige Übertragung der Verbindlichkeiten, da eine solche zu jener Zeit im Recht nicht akzeptiert wurde. Im Rahmen der früheren Gesetze erlebte das System der Schuldübernahme keine signifikante Änderung, da der Brauch des römischen Rechts übernommen wurde. In der islamischen Rechtsprechung hingegen wird die Schuldübernahme definiert als eine Übertragung der Haftung von einer Person auf eine andere, sodass Erstere nicht mehr dafür belangt werden kann.1

 Begriffsdefinition

Die Schuldübernahme ist in Artikel 229 des tunesischen Gesetzes über Schuldverhältnisse und Verträge definiert als „die Übertragung der Rechte des Gläubigers gegenüber einem Schuldner auf eine andere Person in Erfüllung dessen, was der Schuldner ihm schuldet. Die Schuldübernahme erfolgt zudem, wenn jemand eine andere Person mit der Begleichung seiner Schulden beauftragt, auch wenn der Beauftragte keine Schuld gegenüber dieser Person hat.“

Die Rechtswissenschaft definiert sie als das Rechtsgeschäft, bei dem eine Person, die oder der sogenannte Anweisende, eine andere Person, die Angewiesene oder den Angewiesenen, beauftragt, sich zu einer Begleichung einer Schuld zu verpflichten oder dies zugunsten eines Dritten – der Begünstigten oder dem Begünstigten – auszuführen.2 Die Jurisprudenz unterscheidet zwischen der befreienden und der kumulativen Schuldübernahme:3

Die Schuldübernahme ist befreiend, wenn sie die ursprüngliche Schuldnerin/den ursprünglichen Schuldner ihrer/seiner Haftung entbindet. Damit wird also die Verpflichtung durch den Wechsel der Schuldnerin/des Schuldners erneuert.4 Die kumulative Schuldübernahme bedeutet, dass die Pflicht zur Begleichung der Schuld bei der ursprünglichen Schuldnerin/beim ursprünglichen Schuldner bleibt, diese Verpflichtung jedoch zusätzlich auch die neue Schuldnerin/den neuen Schuldner trifft.

Kumulative Schuldübernahme

Die kumulative Schuldübernahme ist von einigen ähnlichen Rechtsinstrumenten zu unterscheiden. Sie ist keine Übertragung einer Schuld, da die/der ursprüngliche Schuldnerin/Schuldner weiterhin zusammen mit der neuen Schuldnerin/dem neuen Schuldner zur Tilgung verpflichtet ist. Im Gegensatz dazu wird bei der Übertragung der Schuld die Verpflichtung vom alter auf neue Schuldnerin/neuen Schuldner übertragen, sodass die oder der erste gegenüber der Gläubigerin/dem Gläubiger keine Verpflichtung mehr hat.5 Es handelt sich auch nicht um eine Abtretung, da die Schuldübernahme die Zustimmung aller Parteien erfordert und für ihre Gültigkeit keine besondere Form oder ein bestimmter Zeitpunkt erforderlich ist.

Im Gegensatz dazu ist für das Zustandekommen einer Abtretung nicht die Zustimmung der Schuldnerin/des Schuldners erforderlich. Damit die Abtretung durchgeführt werden kann, muss gemäß den Bestimmungen von Art. 205 des Gesetzes über Schuldverhältnisse und Verträge eine Benachrichtigung der Schuldnerin/des Schuldners über die Abtretung der Schuld erfolgen oder die Annahme der Abtretung zu einem bestimmten Datum schriftlich fixiert werden.

Aus den einschlägigen Rechtstexten geht hervor, dass die kumulative Schuldübernahme als eine persönliche Garantie fungiert. Dies wirft die Frage auf, inwieweit die kumulative Schuldübernahme als wirksame Garantie zum Schutz der Gläubigerin/des Gläubigers vor der Insolvenz der Schuldnerin/des Schuldners angesehen werden kann.

Kumulative Schuld als Rechtsinstrument

Der Sinn der kumulativen Schuldübernahme für die Gläubigerin/den Gläubiger wird durch die rechtlichen Konsequenzen deutlich, die der Gläubigerin/dem Gläubiger mehr Befugnisse einräumen. Diese Befugnisse berechtigen die Gläubigerin/den Gläubiger, auf zwei Schuldner zurückzugreifen (I). Hierbei kommt der Grundsatz des Forderungsverzichts zum Tragen, der die Bestimmungen der Schuldübernahme dominiert (II).

Das Rückgriffsrecht des Gläubigers auf zwei Schuldner

Die kumulative Schuldübernahme bewährt sich als effektive Garantie, die der Gläubigerin/dem Gläubiger einen wirksamen Schutz bietet, indem sie ihm das Recht einräumt, auf zwei Schuldner zurückzugreifen. Dies liegt daran, dass die kumulative Schuldübernahme die ursprüngliche Verpflichtung aufrechterhält und diese durch eine neue Verpflichtung unterstützt (a), wobei die zweite Verpflichtung nicht an die erste Verpflichtung gebunden ist (b).

Aufrechterhaltung der ursprünglichen Leistungspflicht und Unterstützung durch eine zweite Verpflichtung

Artikel 235 des Gesetzes über Schuldverhältnisse und Verträge sieht vor: „Wenn die Schuldübernahme gültig ist, hat sich der Altschuldner seiner Verpflichtung entledigt, es sei denn, der Vertrag sieht etwas Gegenteiliges vor [...]“. Aus diesem Text geht hervor, dass die Schuldübernahme grundsätzlich die Altschuldnerin/den Altschuldner von ihrer/seiner Schuld befreit, sobald die Übernahme erfolgt ist, sodass die Schuldnerin/der Schuldner vollständig wechselt und die neue Schuldnerin/der neue Schuldner die ursprüngliche Schuldnerin/den ursprünglichen Schuldner ersetzt. Dies entspricht der befreienden Schuldübernahme.

Die Parteien können jedoch auch das Gegenteil festlegen, d. h., sie können die Bedingung stellen, dass die Altschuldnerin/der Altschuldner nicht von ihrer/seiner Schuld befreit wird und der Gläubigerin/dem Gläubiger das Recht eingeräumt wird, auch auf die Altschuldnerin/den Altschuldner zurückzugreifen. Dies entspricht der kumulativen Schuldübernahme, die der Gläubigerin/dem Gläubiger eine starke Garantie gewährt und ihre/seine Chancen auf die Tilgung erhöht, da sie/ er das Recht hat, auf die neue Schuldnerin/den neuen Schuldner zurückzugreifen. Gleichzeitig behält sie/er das Recht, die Altschuldnerin/den Altschuldner zur Tilgung aufzufordern.6

Die Hauptfunktion der kumulativen Schuldübernahme besteht darin, der Gläubigerin/dem Gläubiger eine starke und wirksame Garantie zu bieten, die sie/ihn effektiv vor dem Risiko einer Insolvenz der Schuldnerin/des Schuldners schützt. Die Gläubigerin/der Gläubiger hat jedoch keinen doppelten Anspruch auf Erfüllung, da die Tilgung einer Schuldnerin/eines Schuldners den anderen entlastet.7 Die Gläubigerin/der Gläubiger hat jedoch das Recht, von einem der beiden die Tilgung der Schuld zu verlangen, ohne an eine bestimmte Vereinbarung gebunden zu sein, wie dies bei einer Kaution der Fall wäre.8

Es ist zu beachten, dass die Altschuldnerin/der Altschuldner nicht entlastet wird, es sei denn, die neue Schuldnerin/der neue Schuldner erfüllt die Verpflichtung, zu der sie/ er der Gläubigerin/dem Gläubiger des Altschuldners gegenüber verpflichtet ist, oder die Altschuldnerin/der Altschuldner selbst begleicht seine Schuld. Sobald entweder die Altschuldnerin/der Altschuldner oder die neue Schuldnerin/der neue Schuldner die Schuld tilgt, ist die/der andere entlastet.

Die Gläubigerin/der Gläubiger kann auf die Altschuldnerin/den Altschuldner oder auf die neue Schuldnerin/den neuen Schuldner zurückgreifen. Er ist nicht an eine bestimmte Reihenfolge gebunden.9 Die kumulative Schuldübernahme ist als Garantieinstrument besonders wirksam, da die Verpflichtung der neuen Schuldnerin/des neuen Schuldners von der der Altschuldnerin/des Altschuldners unabhängig ist.

Unabhängigkeit der neuen von der ursprünglichen Verpflichtung

Die Stärke der kumulativen Schuldübernahme besteht darin, dass die Verpflichtung der neuen Schuldnerin/des neuen Schuldners nicht von der ursprünglichen Verpflichtung der Altschuldnerin, des Altschuldners abhängt, da beide an zwei selbständige Verpflichtungen gebunden sind. Wenn die Gläubigerin/der Gläubiger zwei Schuldner hat, ist die Schuld einer jeden Schuldnerin/eines jeden Schuldners unabhängig von der der/des anderen. Die Grundlage der Schuld der Altschuldnerin/des Altschuldners ist die ursprüngliche Verpflichtung, wohingegen die der neuen Schuldnerin/des neuen Schuldners der Übernahmevertrag ist.

Die kumulative Schuldübernahme begründet eine Form der Gesamtschuld (obligatio in solidum), da deren Voraussetzungen hier zutreffen, wie etwa das einmalige Forderungsrecht der Gläubigerin/des Gläubigers, die Schuldnermehrheit und die Leistungspflicht einer jeden Schuldnerin/eines jeden Schuldners gegenüber der Gläubigerin/dem Gläubiger.

Die kumulative Schuldübernahme bedeutet jedoch nicht, dass beide Schuldner gemeinsam für die Erfüllung der Verpflichtung haften,10 da keine gemeinschaftliche Schuldnerschaft begründet worden ist, bei der die Schuld nur gemeinsam von allen Schuldnerinnen und Schuldnern erbracht werden kann. Vielmehr kommt diese nur durch eine Vereinbarung oder per Gesetz zustande, wenn diese Haftung aufgrund der Sachlage gemäß den Bestimmungen von Artikel 174 des Gesetzes über Schuldverhältnisse und Verträge unabdingbar ist.

Es ist auch zu beachten, dass die neue Schuldnerin/der neue Schuldner keine Bürgin/kein Bürge für die Altschuldnerin/den Altschuldner ist, da die Verbindlichkeit der Bürgin/des Bürgen von der Verbindlichkeit der Hauptschuldnerin/des Hauptschuldners abhängig ist. Die Verbindlichkeit einer Bürgin/eines Bürgen ist nur dann wirksam, wenn die ursprüngliche Verbindlichkeit rechtmäßig ist. Die Verbindlichkeit der neuen Schuldnerin/des neuen Schuldners bei der Schuldübernahme ist hingegen eine von der Verbindlichkeit der Altschuldnerin/des Altschuldners unabhängige Verbindlichkeit.11 Die durch die Schuldübernahme entstandene Schuld der neuen Schuldnerin/des neuen Schuldners gegenüber der Gläubigerin/dem Gläubiger ist auch von der Schuld der neuen Schuldnerin/des neuen Schuldners gegenüber der Altschuldnerin/dem Altschuldner unabhängig.12

Ebenso ist die neue Schuldnerin/der neue Schuldner nicht berechtigt, sich auf die Einrede der Vorausklage zu berufen, wie es die Bürgin/der Bürge tun kann,13 da die neue Schuldnerin/der neue Schuldner verpflichtet ist, die Schuld gegenüber der Gläubigerin/dem Gläubiger wie ursprünglich vereinbart zu begleichen. Hier erweist sich die kumulative Schuldübernahme als flexibleres und wirksameres Garantiewerkzeug für die Gläubigerin/den Gläubiger als eine Bürgschaft. Dies macht die kumulative Schuldübernahme zu einer effektiven Garantie, die dem unabhängigen Garantievertrag sehr nahekommt.

In diesem Rahmen ist auch auf die Bestimmungen von Artikel 366 des Gesetzes über Schuldverhältnisse und Verträge hinzuweisen. Darin heißt es: „Die der ersten Schuld zugewiesenen Privilegien und Hypotheken übertragen sich nicht auf die Schuld, die an ihrer Stelle errichtet wurde, es sei denn, dies wird vom Schuldner im Vertrag ausdrücklich festgelegt.“ Daraus folgt, dass die Verbindlichkeit der neuen Schuldnerin/des neuen Schuldners von der ursprünglichen Verbindlichkeit unabhängig ist, die ihre Eigenschaften und Garantien beibehält.14 Die Parteien können jedoch vereinbaren, die mit der ersten Schuld verbundenen Versicherungen auf die zweite Schuld zu übertragen. Die Gläubigerin, der Gläubiger profitiert hiervon, wenn er auf die neue Schuldnerin/den neuen Schuldner zurückgreift, sofern dies vereinbart worden ist.15

Kapitel 237 des Gesetzes über Schuldverhältnisse und Verträge verweist explizit auf mehrere andere Vorschriften zur Übertragung von Ansprüchen, wie z. B. Artikel 212 desselben Gesetzes. Auf die Schuldübernahme übertragen bedeutet in diesem Artikel, dass der Gegenstand der Übertragung mit seinen Verantwortlichkeiten und Verbindlichkeiten auf die neue Schuldnerin/den neuen Schuldner übergeht, sofern der Vertrag nichts Anderes vorsieht. Dass die Schuld der neuen Schuldnerin/des neuen Schuldners unabhängig von der des Altschuldners ist, stellt eine deutliche Abkehr vom Subsidiaritätsprinzip dar.

Der Grundsatz des Forderungsverzichts

Die Rolle der Schuldübernahme als wirksames Instrument zur Gewährleistung der Erfüllung von Verbindlichkeiten wird durch den Grundsatz des Forderungsverzichts bestätigt. Es ist sinnvoll, zunächst den Inhalt dieses Grundsatzes zu definieren (a) und anschließend seine Grenzen zu erörtern (b).

a) Inhalt des Grundsatzes

Zusätzlich zu der Form, dass die Parteien im Übernahmevertrag vereinbaren, die Altschuldnerin/den Altschuldner nicht von ihrer/seiner Verpflichtung zu befreien, bezieht sich Artikel 235 des Gesetzes über Schuldverhältnisse und Verträge auf andere Formen der kumulativen Schuldübernahme, bei denen die Altschuldnerin/der Altschuldner nicht entlastet wird. Es heißt: „Wenn die Schuldübernahme gültig ist, ist der Altschuldner entlastet, mit Ausnahme der im folgenden Kapitel festgelegten Fälle“. Gemeint ist Artikel 236 des Gesetzes. In diesem steht im zweiten Absatz, dass die Schuldübernahme die Altschuldnerin/den Altschuldner nicht von seiner Schuld entlastet, wenn eine der in den Artikeln 365 und 366 beschriebenen Formen vorliegt.

Artikel 365 besagt: „Wenn der Gläubiger die Schuldübernahme akzeptiert, ist es ihm nicht gestattet, dem neuen Schuldner zu unterstellen, die Schuld nicht gewissenhaft angenommen zu haben. Er kann nicht dasselbe einfordern, was er gegenüber dem ersten Schuldner einfordern konnte. Er kann lediglich auf diesen Schuldner zurückgreifen. Er hat jedoch das Recht, gegen den neuen Schuldner Einwände zu erheben, wenn die Ursachen dieser Einwände bereits zum Zeitpunkt seiner Annahme der Schuldübernahme bestanden haben und er dies zu diesem Zeitpunkt nicht wusste.“

Bei der Formulierung der Begriffe „neuer Schuldner“ und „erster Schuldner“ fällt auf, dass Artikel 365 des Gesetzes über Schuldverhältnisse und Verträge eine bestimmte Form der kumulativen Schuldübernahme behandelt, bei der zwischen der Altschuldnerin/dem Altschuldner und der neuen Schuldnerin/dem neuen Schuldner eine frühere Schuldbeziehung besteht. Ferner verbietet der Gesetzgeber der neuen Schuldnerin/dem neuen Schuldner, gegen die Gläubigerin/den Gläubiger Einsprüche geltend zu machen, die zwischen der Altschuldnerin/dem Altschuldner und der neuen Schuldnerin/dem neuen Schuldner entstanden sind.

Letztere/letzterer darf der Gläubigerin/dem Gläubiger nicht mangelnde Gewissenhaftigkeit unterstellen und kann gegen sie/ihn nicht geltend machen, was gegen die Altschuldnerin/den Altschuldner geltend gemacht werden konnte. Einer der wichtigsten Gründe für die Effektivität der kumulativen Schuldübertragung als Garantie ist diese Anwendung des Grundsatzes des Forderungsverzichts.

Folge dieses Grundsatzes ist, dass sich die neue Schuldnerin/der neue Schuldner der Erfüllung ihrer/seiner Verpflichtung gegenüber der Gläubigerin/dem Gläubiger nicht entziehen kann, indem sie/er sich auf eine Unwirksamkeit, eine Aufhebung oder die Nichtigkeit ihrer/seiner Rechtsbeziehung zur Altschuldnerin/zum Altschuldner beruft. Vielmehr muss die Verpflichtung gegenüber der Gläubigerin/dem Gläubiger erfüllt sein.

Diese Regel gewährt der Gläubigerin/dem Gläubiger einen wirksamen Schutz, sodass die kumulative Schuldübernahme gegenüber der Abtretung von Rechten den Vorteil aufweist, dass die neue Schuldnerin/der neue Schuldner im Rahmen der Abtretung von Rechten gemäß den Anforderungen von Artikel 217 des Haftungs- und Vertragsgesetzbuchs an die Zahlungspflicht gegenüber der Gläubigerin/dem Gläubiger gebunden ist.

Dieser Schutz der Gläubigerin/des Gläubigers durch die kumulative Schuldübernahme ist aufgrund zweier Aspekte besonders wirksam: Erstens ist die Verpflichtung der neuen Schuldnerin/des neuen Schuldners gegenüber der Gläubigerin/dem Gläubiger vollkommen unabhängig von der Verpflichtung der neuen Schuldnerin, des neuen Schuldners gegenüber der Altschuldnerin/dem Altschuldner.16 Zweitens ist die Beziehung der neuen Schuldnerin/des neuen Schuldners zum Gläubiger nicht von der Beziehung zwischen der Altschuldnerin/dem Altschuldner und der Gläubigerin/dem Gläubiger beeinflusst. Daher ist der Forderungsverzicht eine Art Schutz für andere.17

Juristisch ist die Gläubigerin/der Gläubiger, die/der die Übernahme nach bestem Wissen und Gewissen akzeptiert, zu entschuldigen, wenn sie/er nichts von einer bereits bestehenden Beziehung zwischen der Altschuldnerin/dem Altschuldner und der neuen Schuldnerin/dem neuen Schuldner weiß. In diesem Zusammenhang heißt es in Artikel 365 des Gesetzes über Schuldverhältnisse und Verträge: „Wenn der Schuldner die Schuldübernahme akzeptiert, ist es ihm nicht gestattet, sich dem neuen Schuldner zu widersetzen, der die Schuld in gutem Glauben angenommen hat.“ Allerdings kann vom Prinzip des Forderungsverzichts abgesehen werden.

b) Grenzen des Grundsatzes

Der Grundsatz des Forderungsverzichts gilt nicht, wenn die neue Schuldnerin/der neue Schuldner böswillig handelt und die Mängel kennt, die sich aus der Verpflichtung ergeben, Einspruch einzulegen, insbesondere wenn ein gemeinsamer Betrug vorliegt.18 Der Grundsatz des Forderungsverzichts, der aus der Beziehung zwischen der Altschuldnerin/dem Altschuldner und der neuen Schuldnerin/ dem neuen Schuldner resultiert, gilt auch nicht in Fällen, die von der Mündigkeit der Altschuldnerin/des Altschuldners abhängen, da die neue Schuldnerin/der neue Schuldner gemäß Artikel 365 der Gläubigerin/dem Gläubiger in Belangen widersprechen kann, die sich auf die Mündigkeit der Altschuldnerin/des Altschuldners beziehen.

Dazu müssen zwei Bedingungen erfüllt sein. Erstens muss die Zahlungsfrist ab dem Datum, zu dem die neue Schuldnerin/der neue Schuldner die Schuldübernahme annimmt, aufrechterhalten bleiben. Zweitens darf die neue Schuldnerin/der neue Schuldner keine Kenntnis von einer Zahlung haben. So heißt es in Artikel 365 in der zweiten Hälfte: „[...] Er hat jedoch das Recht, dem neuen Schuldner gegenüber Einwände gegen die Berechtigung der Person zu erheben, wenn die Ursachen dieser Einwände bereits zum Zeitpunkt seiner Annahme der Schuldübernahme bestanden und er dies zu diesem Zeitpunkt nicht wusste.

Es ist auch möglich, vom Grundsatz des Forderungsverzichts abzusehen, wenn sich die Altschuldnerin/der Altschuldner und der die neue Schuldnerin/neue Schuldner einigen. Dies ist der Fall, wenn die neue Schuldnerin/der neue Schuldner gegenüber der Altschuldnerin/dem Altschuldner im Rahmen seiner Verpflichtung gebunden ist,19 oder wenn sie/er sich verpflichtet, ihre/seine Schuld gegenüber der Altschuldnerin/dem Altschuldner zu begleichen. In diesem Fall unterliegt sie/er den Bedingungen, unter denen das Schuldverhältnis gegenüber der Altschuldnerin/dem Altschuldner abgeschlossen worden war.20 Der Grundsatz des Forderungsverzichts gilt nicht im öffentlichen Recht, vielmehr soll er die Interessen der neuen Schuldnerin/des neuen Schuldners schützen, die/der auf diesen Schutz allerdings verzichten kann.

Es spricht nichts gegen eine Vereinbarung zwischen der neuen Schuldnerin/dem neuen Schuldner und der Altschuldnerin/dem Altschuldner, sofern die neue Schuldnerin/der neue Schuldner ihre/seine Schuld gegenüber der Altschuldnerin/dem Altschuldner begleicht. Im Gegensatz zum tunesischen Recht ist dies in Artikel 361 des ägyptischen Zivilgesetzbuchs festgelegt: „Die Verpflichtung des neuen Schuldners gegenüber dem Gläubiger ist auch dann wirksam, wenn seine Verpflichtung gegenüber dem Altschuldner unwirksam ist oder diese Verpflichtung von einer Zahlung abhängig ist, sodass dem neuen Schuldner nur die Option des Rückgriffs auf den Altschuldner bleibt. All dies gilt, solange keine gegenteilige Vereinbarung besteht.“

Auf dieser Grundlage kann die neue Schuldnerin/der neue Schuldner im Übernahmevertrag festlegen, dass ihre/seine Verpflichtung gegenüber der Altschuldnerin/dem Altschuldner ursächlich für ihre/seine Verpflichtung gegenüber der Gläubigerin/dem Gläubiger ist. In diesem Fall entfällt die Verpflichtung gegenüber der Gläubigerin/dem Gläubiger, wenn offensichtlich ist, dass die Verpflichtung gegenüber der Altschuldnerin/dem Altschuldner unwirksam oder erloschen ist oder er diese auf anderem Wege hätte beglichen werden können.21

Im tunesischen Recht fehlt ein dem Artikel 361 des ägyptischen Zivilgesetzbuchs vergleichbarer Rechtstext, der es den Parteien ermöglicht, zu vereinbaren, vom Grundsatz des Verzichts auf Forderungen abzusehen, die sich aus der Beziehung der neuen Schuldnerin/des neuen Schuldners zur Altschuldnerin/zum Altschuldner ergeben. Ferner fehlt im Vergleich zum ägyptischen Recht jedweder Hinweis des tunesischen Gesetzgebers auf Forderungsstreitigkeiten, die sich aus der Beziehung zwischen der Altschuldnerin/dem Altschuldner und der neuen Schuldnerin/dem neuen Schuldner ergeben.

1 Ahmed bin Talib: Ein Überblick über Versicherungen in der islamischen Rechtsprechung, in: Studien zum Versicherungsrecht, Hrsg. Professor Bachir Al-Manoubi Al-Ferchichi, al-Matba‘a al-Asriyya, 2. Auflage, Tunis 2003, S. 237 f.
2 Hatem Al-Raouatbi, Rechtsschutz für den ordentlichen Gläubiger, Dissertation im Privatrecht, Rechts- und Politikwissenschaftliche Fakultät in Tunis 2004, Randnr. 367, S. 392.
3 Al-Sanhouri: al-Wasît – Kommentar zum Zivilrecht, Bd. 3, Beschreibungen – Schuldübernahme – Fristverfall, Dar Al-Nahda Al-Arabiya, Kairo, 1958, Absatz 514, S.859.
4 Art. 363 des Gesetzes über Schuldverhältnisse und Verträge.
5 Al-Sanhouri, Al-Wasit, Bd. 3, Absatz 328, S. 584 f.
6 MAZEAUD, Henri, Léon et Jean, und CHABAS, François, Bd. 2, Obligations, 9. Ausgabe, Paris, Nr. 1250, S. 1266.
7 Khalil Jurayj: Allgemeine Theorie der Verpflichtungen, Teil 4, Über die Auswirkungen von Verpflichtungen, ihre Übertragung und ihren Verfall, Dar al-Manshurat al-huquqiyya, Sader, 1988, S. 284.

8 Suleyman Markus, Die ausführliche Erläuterung des Zivilrechts, Bd. 6, Verpflichtungsbestimmungen, 2. Auflage, Dar Shattat, Ägypten, Dar Sader, Beirut, 1992, Abs. 390 bis 2, S. 795.
9  Al-Sanhouri, al-Wasit, Bd. 3, Beschreibungen - Hawala - Fristverfall, ebd., Abs. 522, S. 868.
10  Khalil Jurayj: Die Allgemeine Theorie der Verbindlichkeiten, Teil 4, Über die Auswirkungen von Verpflichtungen, ihre Übertragung und ihren Verfall, S. 284.
11 MAZEAUD, Henri, Léon et Jean, und CHABAS, François, Obligations, ebd. Nr. 1248, S. 1265.
12 Al-Sanhouri, al-Wasit, Bd. 3, Beschreibungen - Schuldübernahme - Fristverfall, ebd., Abs. 524, S. 870.
13 Yahya Abd al-Wadud: Übernahme bei Schulden, Eine vergleichende Studie des islamischen Rechts und des deutschen und ägyptischen Rechts, 2. Auflage, Kairo, Dar Al-Nahda Al-Arabiya, 1992, S. 71.
14 Khalil Jurayj: Die Allgemeine Theorie der Verbindlichkeiten, Teil 4, Über die Auswirkungen von Verpflichtungen, ihre Übertragung und ihren Verfall, S. 285.

15 Al-Sanhouri, al-Wasit, Bd. 3, Beschreibungen - Schuldübernahme - Fristverfall, ebd., Abs. 524, Fußnote 3, S. 870.
16 Marie-Noelle JOBARD-BACHELLIER, Manuella BOURASSIN und Vincent BREMIND, Droit des suretés, Paris, Dalloz, 2007, Nr. 840, S. 235.
17 MALAURIE, Philippe, und AYNES, Laurent, Droit civil, Les obligations, 2. Aufl., CUJAS, Paris, 1990, Nr. 1254, S. 715
18 MALAURIE, Philippe, und AYNES, Laurent, Droit civil, Les obligations, 2. Aufl., Nr. 1254, S. 715.
19 Gabriel MARTY und Pierre RAYNAUD, Droit civil, Bd. 2, Vol. 1, Les obligations, Sirey, Paris, 1962, Nr. 842, S. 847.
20 Nabil Ibrahim Saad, Abhängige und unabhängige Personenversicherungen, Alexandria, 2005, S. 182.
21 Al-Sanhouri, al-Wasit, Bd. 3, Beschreibungen - Schuldübernahme - Fristverfall, ebd., Abs. 524, S. 872.